Ist Erbe eine Last?

Wenn man den Begriff Erbe googelt, wird es spannend, wie viele Beiträge mit Erbstreitigkeiten, mit Erbe ist eine Last und anderen negativen Assoziationen anfangen. Sehr viele. Beiträge, bei denen Erbe mit Dank, mit neuen Möglichkeiten, mit der Weitergabe von Reichtümern etc. verbunden sind, fehlen fast völlig. Ich finde das spannend. Gerade weil Erbe verbunden ist mit vielen neuen Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Möglichkeiten, die wir lieber nutzen sollten. Aber warum sehen wir die positive Seite des Erbens so ungern? 

Zwei Tabuthemen auf einmal

Sicherlich wird über Erbe wenig geredet, weil hier gleich zwei Tabuthemen zusammenkommen. Über Geld spricht man nicht, über den Tod schon gar nicht. Will man doch nicht Gefahr laufen, den Tod der Erblasserin "herbeizuwünschen" oder nur irgendwie in dieses Fahrwasser zu geraten.  Es wird nur sehr selten mit Erblassern zu Lebzeiten über das Vermächtnis gesprochen, was er oder sie sich wünscht, was er oder sie sich denkt und ob das mit den eigenen Wünschen und Lebensvorstellungen auch irgendwie zusammenpasst.  In Folge kommt es natürlich immer wieder zu Streitigkeiten, weil eben Dinge nicht klar geklärt worden sind. In den Fällen in denen es geklappt hat, spricht man natürlich auch nicht offen  darüber, wozu auch. Über Geld spricht man ja nicht. 

Sozialneid

Dazu kommt dann noch Sozialneid, der es schwer macht, über das eigene Erbe zu sprechen oder gar zu schreiben. Erben wird in unserer Gesellschaft häufig als zutiefst ungerecht wahrgenommen. Dabei wird vieles vermischt und es entsteht für die Erben eine Gefühlslage, dass sie ihr Erbe nicht verdient haben. Haben sie ja auch nicht. Vorfahren haben etwas verdient und geben es weiter. Neulich habe ich in einem Erstgespräch einer Coachee zu ihrem Erbe gratuliert. Sie hat mich gequält angeschaut. Ein größeres Erbe wird zunächst nicht als ein Geschenk wahrgenommen, zu dem man gratulieren kann. Dazu wird es von vielen anderen Emotionen überschattet. Inklusive dem Neidgedanken, dass man dies ja eben nicht verdient hat.

Weibliches Erbe

Bei der Überschrift "weibliches Erbe" denken viele nicht an Geld. Du auch nicht? Weiblichkeit und Geld ist einfach nicht verknüpft. Hier will ich aber genau auf den finanziellen und materiellen Part eingehen, den natürlich erben heute auch Frauen. Sie erben Geld, Immobilien, Aktien, Anteile an einem Unternehmen – sie erben meistens Verantwortung und Aufgaben, die mit dem Vermögen verbunden sind, sie erben möglicherweise auch Emotionen und unausgesprochene Erwartungen der Erblasser*innen. Aber sie erben eben auch ein Vermögen. Sie vermögen damit etwas tun: Ihr Leben so gestalten, dass es optimal ist, mit dem Geld die Welt ein bisschen besser machen oder sonst alles, was man mit Geld so machen kann. Also eine Fülle von Möglichkeiten. Diese werden oft nicht wahrgenommen. Stattdessen liegt das Geld auf dem Tagesgeldkonto und wird über Jahre nicht angerührt. Oder das Depot wird nicht verändert, Immobilien werden zunächst als etwas wahrgenommen, was nur Arbeit macht und wenig abwirft. Ganz zu schweigen von der Verantwortung ein Unternehmen wie auch immer mit führen zu müssen. Erbe wird leider viel zu oft als Last wahrgenommen. Besonders für uns Frauen.

Warum erben Frauen anders?

Faktisch erben Frauen noch nicht lange selbständig und selbstverständlich, zumindest in Deutschland – wenn sie denn verheiratet sind.  Erbe ist etwas, was wir von den vorherigen Generationen bekommen. Und diese sind zum Teil noch einem ganz anderen Wertekonstrukt aufgewachsen. Schauen wir mal kurz zurück: Bis 1957 verlor die Frau, wenn sie heiratete, praktisch jegliche Verfügungsgewalt über ihre Angelegenheiten. § 1354 BGB regelte: “Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu”. Gab es keinen Ehevertrag, dann sah der Güterstand die “Verwaltung und Nutznießung” vor. Danach blieb die Ehefrau zwar formal Eigentümerin ihrer Besitzstände, hatte aber keine Verfügungsgewalt mehr. Dem Ehemann flossen sämtliche Erträge wie Zinsen und Mieteinnahmen zu, nur verkaufen durfte er die Güter nicht ohne ihre Zustimmung. Erbschaften wurden als “Vorbehaltsgut” eigentlich anders behandelt. Hier durfte die Frau selbst über das Vermögen verfügen. Dies haben einige wenige Frauen sicherlich genutzt. Das gängige Rollenbild war aber das der Hausfrau. Nach § 1356 BGB war die Frau verpflichtet: “das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten”. Damit war es zu solchen Zeiten sehr unwahrscheinlich, dass eine Ehefrau, die erbte, diese Erbschaft selbstbewusst und in Eigenregie antrat und verwaltete, während sie ansonsten mit Haushalt und Kinderbetreuung beschäftigt und dem Ehemann untergeordnet war. Bis heute treffe ich immer noch Frauen an, bei denen es so läuft, wie damals auch schon. Das Erbe wird vom Ehemann oder von anderen männlichen Verwandten – insbesondere Brüdern, mit verwaltet. Wenn nicht das Erbe schon im wesentlichen Teil sowieso nur an die männlichen Nachkommen vererbt wurde.

Mit dem Gleichberechtigungsgesetz 1957 wurde es ein kleines bisschen besser für die Frau und ihr Vermögen. Statt der “Verwaltung und Nutznießung”, wurde nun die “Zugewinngemeinschaft” zum ehelichen Standard. Trotzdem blieb die Hausfrauenehe als Norm bestehen. Sie hatte zwar jetzt das Recht erwerbstätig zu sein, aber nur “soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familien vereinbar” war. Entsprechend änderte sich an dem Gesellschaftsbild von 1900 nicht viel: Einerseits wurden allen die Möglichkeit eröffnet, unternehmerisch gleichberechtigt tätig zu sein, andererseits wurde sehr deutlich gemacht, dass eine Frau, die heiratete, zuallererst Hausfrau zu sein hat.

Dies änderte sich erst 1977 mit der 1. Eherechtsreform. Seitdem steht es Ehepaaren frei, selber zu entscheiden, wer wie viel arbeitet und wer sich um den Haushalt kümmert. Die gesellschaftlichen und individuellen Auseinandersetzungen dazu halten bis heute an. Wir finden heute viele verschiedene Rollenbilder vor, aber in sehr vielen Fällen ist es auch heute noch so, dass die Frau die Hauptverantwortung für den Haushalt trägt und der Mann sich um die Finanzen kümmert. Unsere Mütter hatten es noch sehr schwer, eigenständige Entscheidungen zum Erbe zu fällen. Wir sind tendenziell die erste Generation, der dies zugetraut wird. Nun lasst uns es uns selbst zutrauen!  Nämlich über unser Erbe selber zu entscheiden. Natürlich in Würdigung und Dankbarkeit gegenüber der Erblasser, aber eben auch in der Würdigung unserer eigenen Wünsche und Wertvorstellungen.

Es ist ein langer Weg von der Trauer über den Verlust eines nahen Verwandten bis zur erfüllten Annahme des Nachlasses. Für Frauen ist er manchmal noch ein Stück länger als für Männer. Weil uns und der Gesellschaft Vorbilder fehlen. Das heißt aber nicht, dass es nicht geht. Mich hat das Thema gleich auf zwei Ebenen “erwischt”. Einmal habe ich selbst bereits geerbt und werde auch noch in Zukunft erben. Ich muss mich als mit meiner Rolle als Erbin auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzung scheint Energien auszustrahlen. In meinen Geldcoachings fanden und finden sich immer auch und gerade Erbinnen ein. Gemeinsam erforschen wir Hemmnisse, die der eigenen Gestaltung von Möglichkeiten im Wege stehen. Lösen unbewusste Blockaden auf, wie vermeintliche Erwartungen der Erblasser, was man mit dem Geld tun sollte. Wenn das Vermögen sich immer freier anfühlt, kommt der spannende Part der Nutzung. Für welche Lebensgestaltung, für welche Ziele, für welche Projekte soll das Geld eingesetzt werden. Hier verknüpft sich dann meine Expertise gerne mit dem Rentencoaching und meinen eigenen Erfahrungen, die Erwerbsarbeit nicht mehr in den Vordergrund zu stellen. Was in der Praxis auch nicht einfach ist, brauchen wir doch auch für das langsamer Treten eine innere Erlaubnis. Ein spannender Weg, den ich gerne begleite und dennoch auch immer noch selber gehe.